Monday, January 19, 2009

Die Fehlgeburten der Anderen

Das best gehütete Geheimnis der Fehlgeburt ist, wie viele von ihr getroffen werden. Erst tun sie alle so, als wenn es nichts Einfacheres und Natürlicheres gäbe, als neun Monate Schwangerschaft leichtfüßig zu schultern. Aber kaum erzählt man von seinem schweren Schicksal, um es ein bisschen leichter zu ertragen, schon kommen sie alle aus ihren Löchern gekrochen.

„Zwischen 50 und 70 Prozent aller Schwangerschaften“, behauptete meine Gynäkologin auf einmal und schob mir verschwindend kleine Pillen gegen die Trauer zu. "Dieses Kind müssen Sie jetzt beerdigen", befahl sie. Vorher hatte sie noch scheinheilig etwas davon erzählt, dass ich mein Kind schon bekommen würde, wenn der liebe Gott es nur wolle. Das war, als ich sie – Statistikerin, die ich nun einmal bin - bei der Entdeckung der Schwangerschaft ängstlich danach gefragt hatte, wie hoch die Gefahr einer Fehlgeburt in diesen viel beschworenen ersten 12 Wochen denn nun sei, vor deren Ablauf nie jemand von seiner Schwangerschaft erzählt.

50 bis 70 Prozent ist stark übertrieben, jedenfalls wenn man etwas darüber wissen will, mit welcher Wahrscheinlichkeit man eine Leidensgenossin trifft. Die Zahl schließt unentdeckte Befruchtungen mit ein, die etwa zum Zeitpunkt der Periode abgehen. In solchen Fällen erfährt die werdende Mutter nie, was ihr da entgangen ist. Folglich auch keine Trauer.

10 bis 30 Prozent trifft es eher, wenn wir von Fehlgeburten sprechen, die die Frauen bewusst erleben. Aber die sind überall.

Oma Feechen hatte eine Fehlgeburt, hieß es zu Hause. Man wollte mich damit trösten. Die hat sich allerdings gefreut. Es wäre das sechste Kind gewesen. Tante Elsas zweites war eine Fehlgeburt. Trotzdem hat sie drei Kinder. Und Rosi aus der Mittwochsgymnastikrunde war sehr betroffen und ließ mich grüßen. Sie hat sieben Jahre auf ihr zweites Kind warten müssen, zwei Fehlgeburten. Sie wurde immer nervöser, die Zeit schiene einem schließlich davon zu laufen. Wem sagt sie das...

Auch aus meinem Freundeskreis gab es ähnliche Rückmeldungen „Das haben mindestens vier, fünf meiner Freundinnen auch durchgemacht“, war einer der häufigsten Auskünfte, die ich bekam. Und dann noch zum Trost: „Heute haben sie alle wunderschöne Kinder.“

Frauen mit der Kombination „Fehlgeburt, Kind“ kenne ich zwar durchaus, aber ich kenne auch welche mit „Fehlgeburt, Eileiterschwangerschaft“. Im Grunde ist man vor keinem Schicksal ganz sicher, wenn man eine Fehlgeburt hinter sich hat. Mein Joggingpartner berichtete mir von „Fehlgeburt, Fehlgeburt, Fehlgeburt, jetzt sehr stolze Mutter“. Das würde mich dann allerdings sicher in die Menopause führen, bei dem Tempo, mit dem ich schwanger werde. Vorher wahrscheinlich noch in die Nervenheilanstalt.

Noch schlimmer wird es, wenn man mit anderen seine Erfahrungen mit der Fortpflanzungsmedizin austauscht.

Als ich Jessica und Sabine das erste Mal wieder traf, war Jessica im vierten Monat schwanger. Ich fühlte mich sehr davon ermutigt, jemanden zu sehen, der so glücklich und reibungslos ein Kind austrug. Über die Phase, dass ich schwangere Frauen und kleine Kinder nicht sehen mochte, war ich schon wieder hinweg. Doch als ich von meinem Unglück erzählte, packte Jessica aus: vier Jahre lang vergebliches Versuchen, zwei erfolglose Invitrofertilisationen und immer häufiger ein Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs. Am Ende empfand sie sogar die Geburtsanzeigen als Provokation, die ihre besten Freundinnen ihr schickten. Sie heiratete ihren Freund, obwohl die beiden vom Heiraten nichts hielten, denn sie wollten wenigstens die Möglichkeit haben, zu adoptieren.

„Und dann bin ich einfach mit diesem Regelcomputer schwanger geworden“, erzählte sie, immer noch ganz verblüfft. Der vierjährige Fortpflanzungsmedizin-Marathon, bei dem Jessica alle nur erdenklichen Methoden probiert und alle Hilfsmittel eingesetzt hatte, wie abwegig sie auch immer schienen, hatte am Ende dazu geführt, dass sie den Beitrag des eigenen Mannes zu ihrer Schwangerschaft kaum noch zu würdigen wusste. Jedenfalls sah sie uns mit einem etwas entrückten Lächeln an, als wir sanft darauf hinwiesen, dass sie mit Moritz schwanger geworden war, und nicht mit dem Computer.

Sabine hingegen war noch auf der Suche nach einem Mann und ganz geschafft von dem, was sie dabei mitmachen musste. Sie versuchte gerade, über einen schwulen Norweger hinwegzukommen, in den sie sich in ihrer Verbohrtheit verliebt hatte, obwohl ihr jeder, aber auch jeder in der Stadt Brief und Siegel auf seine Homosexualität zu geben bereit war.

„Jahaaa“, sagten wir ihr und fletschten bösartig unsere Zähne. „Du glaubst, Du hast es geschafft, wenn Du einen Mann gefunden hast. Warte nur, bis du da angekommen bist, dann geht es erst richtig los“. Bis sich Sabine panisch im Zimmer umblickte und etwas von „ich steig aus“ murmelte.

Der Regelcomputer wertet übrigens Teststreifen mit Urin aus, um den Zeitpunkt des Eisprungs zu ermitteln. Manche Frauen, wie meine Freundin Sonja verhüten damit. Sie ist auf die Art und Weise zwei Mal mit zwei unterschiedlichen Männern ungewollt schwanger geworden. Jetzt erwartet sie ihr erstes Kind mit einem Mann, der ihretwegen Frau und Kind verließ. Leider kann er sich immer noch nicht entscheiden, ob das ganz richtig war. Und Sonja weiss deswegen nicht so recht, ob sie sich über die ganze Situation freuen soll.

Auf dem Gebiet der Fortpflanzung gibt es weder Vernunft noch Gerechtigkeit.

Monday, January 12, 2009

Fehlgeburt

„Haben Sie Schmerzen“, fragt mich die Frau im gegenüberliegenden Bett. Ich kann einfach nicht aufhören zu weinen.

„Nein“, antworte ich. „Ich bin nur traurig.“

Das sieht sie ein. „Vielleicht sind Sie ja nächstes Jahr schon zu dritt“, versucht sie mich zu trösten. Dann erzählt sie mir eine abenteuerliche Geschichte, wie sie bei ihrem ersten Kind sechs Monate lang nicht bemerkt hat, dass sie schwanger war.

Schwer vorstellbar, dass ich mich in der Situation wiederfinden könnte. Seit wir ein Kind planen, habe ich peinlichst genau meinen Zyklus beobachtet, war in heller Aufregung, wenn zu kurz war, vermutete zu hohes Alter, verklebte Eileiter oder Hormonstörungen und versuchte ständig meine Gynäkologin zu überreden, eingehende Untersuchungen einzuleiten. Sie weigerte sich lange standhaft, meinte es sei viel zu früh, aber als ich immer wieder aufgelöst vor ihr stand, gab sie irgendwann doch meinen Drängen nach.

Kaum steckte ich meinen Kopf in eine Sterilitätsklinik, wo mich eine sympathische deutsch-türkische Gynäkologin nach meinen Unternehmungen befragte, um schwanger zu werden, unternahm ich mit meinem Freund eine Reise. Und wurde schwanger.

„Ich freue mich“, rief meine Gynäkologin und strahlte mich an, als sie mir das Ergebnis präsentierte. Sie ist eine kleine, gut gelaunte, blonde sympathische Frau, die eine große Gelassenheit ausstrahlt. Ohne sie hätte ich den Druck nie ausgehalten, den ich mir selbst gemacht habe.

Nur sieben Tage später fand ich Blut, als ich bei einer Konferenz in Brüssel während einer Pause zur Toilette ging. Die Konferenz ging ohne mich weiter. Ich saß eine halbe Stunde später in einem abschrabbelten Wartezimmer einer belgischen Notaufnahme und kämpfte gegen Weinkrämpfe. Ziemlich lange saß ich da. Zwischendurch rief Cordula an, um mir mitzuteilen, dass sie morgen in die Stadt käme und mich gerne sehen würde. Unglücklicherweise war ich ans Telefon gegangen, weil ich dachte, es könnte mein Freund sein. Ich versprach ihr, sie zurück zu rufen.

Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, steckte ein freundlich aussehender, dunkelhäutiger Arzt seinen Kopf aus dem Behandlungszimmer und rief meinen Namen auf. Einen Gynäkologenstuhl hatte er nicht zu bieten, aber er wusste sich zu helfen. Ich solle doch einfach mal meine geballten Fäuste unter das Gesäß legen. Nachdem ich mir monatelang die Zähne an einer Studie zu den Kosten unseres Gesundheitssystems ausgebissen hatte, boten mir die Belgier hier einmal ganz unkompliziert ein paar praktische Anregungen, wie man sie zu reduzieren könnte.

Ich drehte den Kopf zum Fenster. Den Bildschirm für den Ultraschall wollte ich gar nicht sehen.
Dem belgischen Arzt gefiel das nicht:“Regardez - votre bébé“, forderte er mich begeistert auf. Er fand, alles sei in bester Ordnung. Und die Blutungen? 60% aller Schwangerschaften bluten, erklärte er mir. Ich könnte ruhig nach Hause fliegen, auf dem Weg nach Deutschland gäbe es schließlich nie viele Turbulenzen. Sogar das Wetter konnte der vorhersagen.

So richtig beruhigt war ich nicht. Zwischendurch überlegte ich mir zwar, ob ich nicht doch endlich mal alle meine Panik über Bord werfen und mit Clara ins Gogol-Bordello-Konzert gehen sollte wie geplant. Aber am Ende entschlossen wie uns doch vorsichtshalber zu einem zweiten Besuch in einer Notaufnahme, diesmal in einer deutschen. Viel sauberer als die belgische, viel weniger improvisiert, aber auch mit viel traurigeren Nachrichten. Einen Fötus könnte sie sehen, sagte die junge Ärztin, aber kein Herz, das schlägt.

Sie bot mir an die Nacht zu bleiben, um in zwei Tagen noch einmal nachzusehen. Ein bisschen Hoffnung gäbe es, dass es noch anfinge zu schlagen. Ich zog es vor, zu Hause auf dem Sofa weiter zu bluten.

Am nächsten Tag rief ich Cordula an, um ihr die Situation zu erklären und warum ich sie nicht sehen könnte. Sie hielt das für den passenden Moment, in ein längeres Lamento darüber zu verfallen, welche Anstrengung und welche Freiheitseinschränkung ihre dreijährige Tochter für sie bedeutete. Das war das erste Mal seit 24 Stunden, das ich Lust bekam, laut zu lachen. Erst nachdem ich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass ich ihr hätte anbieten können, ihr das Kind abzunehmen. Cordula war schon immer eine der weniger zart fühlenden unter meinen Freundinnen. Ihre Gratulation zu meiner Promotion bestand damals darin mir zu erzählen, ihre Mutter habe gesagt, Frauen wie ich hätten es schwer. Will sagen, einen Mann zu finden, nahm ich an, mit dem Kainsmal der Promotion. Irgendwie hatte ich diese Hürde allen Widrigkeiten zum Trotz doch genommen. Aber so wie es aussah, war ich beim großen Kampf um das Baby zumindest in der ersten Runde vollkommen k.o. zu Boden gegangen.

Am Abend wurden die Blutungen so viel stärker, dass ich die nächste Nacht doch im Krankenhaus verbrachte.

Jetzt habe ich eine durchwachte Nacht hinter mir und eine Gebärmutterausschabung.
Das blonde, langhaarige Mädchen, das neben mir liegt, versucht mich zu trösten. Beim ersten Mal hatte sie Jahre gebraucht, um schwanger zu werden. Sie war mit 19 Jahren aus Mazedonien hierher gekommen, um einen Landsmann zu heiraten. Nach vier Jahren Heimweh, Einsamkeit und Warten bekam sie eine Fehlgeburt. Jetzt ist sie im Krankenhaus, weil sie künstlich ernährt werden muss. Dieses Mal keine Fehlgeburt, dafür ein schwerer Fall von Morgenübelkeit, die sich über den ganzen Tag erstreckt. Sie hasst ihren Mann, der ist an allem Schuld, sagt sie. Es gibt doch nichts Schöneres im Leben einer Frau als den Weg zu einem Kind...

“Beim ersten Mal ist schwer, schwanger zu werden, beim zweiten Mal ganz einfach“, tröstet sie mich. Sie erzählt mir von warmen Bädern und mazedonischen Wunderheilerinnen, die ihren Bauch massiert haben, alles sehr viel versprechende Methoden. Irgendwie tröstet es mich, dass auch jüngere Frauen Schwierigkeiten haben können, Kinder zu bekommen. Obwohl ich der Frau doch sehr bald eine angenehme Mahlzeit wünschen würde, die nicht sofort ihr Gesicht grün verfärbt und auf Knien vor der Toilettenschüssel endet.

„Scheiße heiraten“, urteilt sie irgendwann im Verlauf des Vormittags. Sie hätte doch besser die Schule zu Ende gemacht und eine Ausbildung, meint sie. Ich versuche eifrig, sie aufzumuntern und zitiere etliche Beispiele aus meinem Bekanntenkreis, die mit über dreißig ein Studium aufgenommen und erfolgreich abgeschlossen haben. Und doch ist das alles irgendwie absurd. Die einen meinen, sie hätten sich zu spät ernsthaft auf Freiersfüße begeben, die anderen zu früh. Wie macht man es denn nun eigentlich richtig?

Als ich endlich nach Hause darf, gehen wir im Volkspark spazieren und essen ein Stück Kuchen. Es dauert fast vier Wochen, bis ich morgens aufwache, ohne sofort zu weinen. Ich kann nicht verstehen, dass mein Freund nicht genauso traurig ist wie ich. Er ist traurig, sagt er, er drückt es nur anders aus. Ich weiß, dass er traurig ist. Ich sehe ihn immer noch stumm auf seinem Schemel in der Ecke des Untersuchungszimmers sitzen als die Gynäkologin vergeblich nach einem pochenden Herzen sucht. Und ich höre ihn immer noch nachts um zwei im Krankenzimmer in mein Ohr hauchen, dass er es nächstes Mal besser machen will, als wir die Nachricht von dem Blutwert bekommen, der eindeutig die Fehlgeburt belegt. Aber es fällt ihm so leicht, wieder optimistisch in die Zukunft zu blicken. Mir nicht, Irgendwann merke ich, eine unterschiedliche Art zu trauern, kann eine Beziehung in so einer Situation sehr belasten. Weil er sich nicht an meine Art zu trauern anpassen kann, bleibt mir am Ende nichts anderes übrig, als mich an seine anzupassen.

Der Frühling beginnt, die Sonne lacht, die Blumen blühen und die Vöglein singen. Mein Leben geht weiter. Irgendwann kann ich auch wieder an Kinderwagen und an schwangeren Frauen vorbeigehen, ohne die leicht füßige Art dieser Menschen, sich fortzupflanzen, als Provokation zu empfinden. Und ich bin wieder mitten drin im Babyrennen.

Schade nur, dass ich mir die Adresse von der mazedonischen Masseurin nicht habe geben lassen. Richtig einfach ist es bei mir auch beim zweiten Mal nicht. Vielleicht muss ich dann ja wenigstens nicht künstlich ernährt werden, wenn es doch mal klappt.

Saturday, January 10, 2009

Die Freiheit der Frau

„Wenn die finanzielle Unabhängigkeit nur dazu führt, dass wir es schwerer haben, einen Mann zu finden und rechtzeitig Kinder zu bekommen, wir uns aber gleichzeitig ein Leben ohne Familie nicht vorstellen können, sind wir dann nicht genauso unfrei wir unsere Großmütter oder die Heldinnen aus Edith Whartons Romanen?“, fragte ich Katrin und Christiane verzweifelt. „Oder noch unfreier?“ Die beiden sahen mich ratlos an.

Eigentlich hatte ich immer gedacht, unsere Ausbildung solle uns vor dem Schicksal bewahren, auf eine Ehe angewiesen zu sein, um unseren gesellschaftlichen Status oder unser Überleben zu sichern. Sie sollte uns die Freiheit schenken, uns den auszusuchen, der uns gefällt, und Männer verlassen zu können, die wir nicht mehr lieben, die uns quälen oder schlagen. Sie sollte uns ermöglichen, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können mit oder ohne Mann. Aber dann, irgendwann Mitte 30, geraten wir alle so in Panik, es könnte letzteres sein, dass wir die wahnwitzigsten Taten begehen.

Irina hatte einen so schweren Nervenzusammenbruch, dass sie für mehrere Wochen ins Krankenhaus musste. Zugegeben sie hat einen Haufen Probleme. Nicht alle drehen davon haben mit Männern zu tun. Vor zehn Monaten ist ihr gekündigt worden. Sie war so am Ende, dass sie wochenlang nichts unternehmen konnte. Als sie endlich wieder in der Lage war, etwas zu unternehmen, hatte sie ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verwirkt.
Doch dann nahm sie all ihren Mut zusammen und suchte sich etwas Neues in England. Was macht England? Ruiniert pünktlich zu ihrer Ankunft sein Wirtschafts- und Finanzsystem. Nach fünf Monaten, als sie gerade begann, die Stadt zu mögen und Freunde zu finden, kündigten sie ihr wieder.

Im Fußball würde man sagen, erst hatte sie kein Glück, und dann kam auch noch Pech hinzu.

Den Höhepunkt ihrer Krise erreichte sie allerdings erst nach ihrer Entdeckung, dass ihr 56-jähriger Freund, der nachlässige Norbert, eine Neue hat. Uns ist es ein Rätsel, wie er das macht. Er ist unattraktiv, geistlos, ungehobelt und noch nicht einmal reich. Jedenfalls hat er Irina weder mit Schmuck und schicken Klamotten überhäuft, noch in Champagner gebadet. Nicht dass wir wüssten.

Das schlimmste an ihm aus Irinas Sicht war allerdings, dass er keine Kinder wollte. Keine weiteren jedenfalls. Die, die er hat, waren ihm genug. Er wollte noch nicht einmal so recht mit ihr zusammen ziehen. Abendessen und Golf mit seinen Freunden und ab und an eine Auslandsreise, das war seine Vorstellung von dem gemeinsamen Leben. Wäre ja nichts dagegen einzuwenden gewesen, wenn Abendessen und Golf mit Mittfünfzigern und ab und zu eine Auslandsreise auch das gewesen wäre, was Irina wollte. Aber sie wollte Familie und Kinder, dazu vielleicht noch ein paar Rucksackreisen durch den Amazonas und das Mekong-Delta. Außerdem war sie schon immer eher für Extremsportarten zu haben als für Golf. Als Studentin gehörte es zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, nachts ungesichert das Freiburger Münster zu erklimmen und oben angekommen, eine Flasche Weißherbst zu öffnen.

„Meinst Du nicht, das könnte ein Grund sein, sich zu trennen?“, hatte Katrin sie schon vor Jahren eindringlich gefragt. Sie meinte seine mangelnde Bereitschaft zu weiteren Kindern, nicht zu nächtlichen Ausflügen auf das Freiburger Münster über dessen Außenwand.

„Nein, ich liebe ihn“, sagte Irina. „Und es ist zu risikoreich – vielleicht finde ich keinen anderen mehr.“ Anscheinend hatte Irina ihre gesamte Risikobereitschaft bei Extremsportarten verpulvert und für gewöhnlichen Hürden des Alltags war nichts mehr übrig.

Allmählich ging sie dazu über, Perlenketten und -ohrringe zu tragen. Wahrscheinlich hielt sie das für die angemessenen Accessoires für Abendessen mit Mittfünzigern. Und sie brachte immer wieder das Thema Heiraten und Kinder auf, gegen das sich der nachlässige Norbert hartnäckig sträubte. Dabei fielen immer mehr hässliche Worte, die zudem immer hässlicher wurden. Hässliche Worte waren eines der wenigen Gebiete auf denen der nachlässige Norbert Einfallsreichtum zeigte. Das einzige, worin die beiden kooperierten, war der Versuch, Irina möglichst klein zu machen.

Sie legte sich einen Klageruf zu, mit dem es ihr immer wieder gelang, sich aufs Neue im Kreis zu drehen: „Die Zeit vergeht einfach nur, aber nichts kommt voran bei mir, keine Kinder, kein Mann und kein Beruf“. Das war das häufigste Gespräch, das ich in den vergangenen zwei Jahren mit ihr geführt habe:“ Bei euch geht es vorwärts, ihr habt Erfolg, bei mir stagniert alles nur. Ich habe den richtigen Moment verpasst, ich bin nutzlos.“

Das sollte nun also unser selbst bestimmtes Leben in Freiheit sein.

Wir flehten sie an, sich wieder selbst zu respektieren, den nachlässigen Norbert seiner Wege ziehen zu lassen, und sich einen lieben, zärtlichen und sportlichen Wandersmann in ihrem Alter zu suchen. Aber der nächste Urlaub ging wieder nicht ins Mekong-Delta, und wieder war der nachlässige Norbert dabei. Selbst als sie nach England ging, kam er halb mit, aber natürlich nicht ganz, indem er wochenweise seine Zahnarztpraxis einem Vertreter überließ.

Als sie von seiner Neuen erfuhr, brach Irina vollkommen zusammen. Wir fanden alle, sie hätte eher Anlass zur Freude gehabt. Aber wer versteht schon die verschlungenen und manchmal auch perversen Wege der Liebe. Außerdem schaffen zwei Kündigungen innerhalb von zehn Monaten sicher nicht die ideale Ausgangsbasis, um eine Trennung zu überstehen.

Christiane meinte, das sei definitiv die schlechteste aller Welten: Sich auf unausstehliche Männer angewiesen zu fühlen, um doch noch irgendwie an eine Familie heran zu kommen, und dafür auch noch arbeiten gehen zu müssen.

Sie hätte eigentlich nie Angst, keinen Mann mehr zu finden, vertraute Katrin uns an. Sie sei sich sicher, das sie einen finden würde. Sie hat nur Angst, ihn nicht mehr rechtzeitig zu finden, um noch Kinder bekommen zu können.

„Wir müssen offener für unkonventionelle Lebensformen sein“, schlug ich vor. „Als ich noch Single war, dachte ich immer, ich würde mir einfach eine WG mit einem schwulen Pärchen suchen, und mit denen Kinder bekommen.“

Die beiden nickten zustimmend. Aber Christiane wendete am Ende ein, die Vorstellung sei ihr damals, als sie noch mit einer Frau zusammen war, doch zu viel gewesen, als lesbisches Paar gemeinsam Kinder groß zu ziehen. „Du kannst überhaupt nur in bestimmten Vierteln leben, Deine Eltern sitzen dir im Nacken, und ständig hast Du ein schlechtes Gewissen, was Du dem Kind in dieser Gesellschaft zumutest, auch wenn Du Dir sicher bist, zwei harmonisch zusammen lebende Frauen sind für ein Kind besser als Vater und Mutter, die sich wie Hund und Katze bekämpfen. Inzwischen hat Christianes Ex-Freundin eine neue Frau und ein Kind. Christiane hat einen Mann.

„Warum haben Männer diese Angst, partner- und kinderlos zu bleiben, eigentlich nicht?“, fragte Katrin.

„Sie überschätzen ihre Fertilität“, meinte Christiane. „Die meisten wissen gar nicht, dass immer mehr Männer schon in jungen Jahren nicht zeugungsfähig sind“. Ein Fortpflanzungsmediziner hat sich mal bei ihr über die immer schlechtere Qualität der Samen jugendlicher Spender beklagt. “Außerdem wissen sie auch nicht, dass die Qualität ihrer Samen auch mit dem Alter abnimmt“. Ich denke an Matthias, der seine Frau in der Öffentlichkeit verhöhnte, sie sei nicht in der Lage, Kinder zu bekommen, als es ein Jahr lang nicht klappte. Am Ende stellte sich heraus, dass es seine Samen waren, deren Tempo so sehr zu wünschen übrig ließ, dass sie nie im Leben zu einer Eizelle hätten vordringen können. Mit ein bisschen freundlicher Hilfe der Fortpflanzungsmedizin gelang es dann doch.

„Außerdem stimmt es nicht“, wandte Christiane ein. Ich kann Dir eine ganze Latte allein stehender Männer nennen, die Angst haben, allein stehend zu bleiben. "In der Tat, die Veranstaltungszeitung der Stadt ist voll mit Anzeigen von Männern, die Frauen mit Kinderwunsch suchen.

Trotzdem finde ich, die Männer scheinen in der Regel größeres Vertrauen darin zu haben, dass ihnen alles zusteht und sie auch alles bekommen werden. Jedenfalls geben sie keine Panik zu erkennen, dass sie Kinder und Karriere nicht kombinieren könnten. Uns hat man zwar im Prinzip dazu erzogen, all das anzustreben, aber irgendwie hat man uns auch mit auf den Weg gegeben, es sei vermessen zu glauben, dass man dabei keine Kompromisse eingehen müsste. Nur wie man die machen soll, und warum Männer die nicht machen müssen, das hat uns keiner erklärt.

„Man hätte uns mehr Selbstvertrauen mitgeben müssen“, meint Katrin bestimmt und will offensichtlich das Thema damit abschließen.

Ich gucke hinaus in den Schnee und gerate ins Träumen. Ich beneide die Frauen, die zwanzig Jahre jünger sind als wir, die keine Skrupel haben, aber dafür ein Meer von modernen Männern in ihrem Alter. Wahrscheinlich bekommen sie, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, ihre Kinder in der Ausbildung, im Studium oder kurz danach. Bis dahin werden sie überall Kinderkrippen aufgemacht haben, männliche Studenten werden nichts dabei finden, ein Jahr lang ein bisschen langsamer zu studieren, um Windeln zu wechseln, und ihnen macht niemand vor, man würde sein ganzes Leben ruinieren, wenn man während der Ausbildung schon Kinder bekommt. Als wenn es später im Leben irgendwann mal besser passen würde. Die müssen sich keine Gedanken über Fertilität jenseits der Dreißig machen und auch nicht darüber, ob sie es wagen können zu habilitieren, wenn sie doch damit entweder ihre Chancen auf Kinder oder aber ihre Chancen auf eine erfolgreiche Beendigung der Habilitation zerstören.

„Komm lass uns los“, schreckt mich Katrin in meinen Tagträumereien auf. „Wir besuchen Irina.“

„Jawohl“, ruft Christiane gut gelaunt. „Und wir nehmen eine Sektflasche mit.“

Irina wird mit Antidepressiva behandelt. Vielleicht ist sie ja schon so weit, dass sie den Abgang des nachlässigen Norbert feiern kann. Soll er doch mal eine andere Frau vernachlässigen und demütigen

Und, wie meine Mutter nicht müde wird zu betonen, wenn man Alkohol und Antidepressiva geschickt kombiniert, wirken beide besonders gut.

Sunday, January 4, 2009

Verklebte Eileiter usw.

Eigentlich wollte meine Gynäkologin uns gar nicht hierher schicken. Es sei viel zu früh, meinte sie. Ich sollte mich einfach entspannen, mein Leben genießen und mit meinem Mann in den Urlaub fahren, dann würde ich schon schwanger werden. Frühestens nach anderthalb Jahren könnten wir allmählich mal an weitere Schritte denken.

Doch im Internet steht natürlich etwas ganz anderes – und es hilft Frauen wie mir nicht zu wissen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Gynäkologin recht hat und nicht das Internet. Deswegen war ich bereits nach vier Monaten mit Verdacht auf verklebte Eileiter auf Basis einer Selbstdiagnose zu ihr gekommen und hatte nach einer eingehenden Untersuchung verlangt.

Eine Freundin von mir hat verklebte Eileiter und nur eine künstliche Befruchtung in Holland konnte ihr zu Kindern verhelfen. Ich sage Kinder, weil sie Zwillinge bekam. Dabei war sie extra nach Holland gefahren, weil die dort nach der Befruchtung die Entwicklung der Eizelle länger beobachten dürfen als in Deutschland und damit ihre Trefferquote erhöhen. Deswegen pflanzen sie anders als hier nicht mehrere Eizellen ein, um die Erfolgschancen zu erhöhen und es kommt seltener zu Mehrlingsgeburten. So jedenfalls plante meine Freundin.

Aber dann kamen die Holländer in der Fruchtbarkeitsklinik durcheinander und pflanzten ihr doch mehrere werdende Kinder ein. Dieser Schwindel flog allerdings erst nach einer gründlichen Eizellen-Inventur auf, bei der ein Ei zu viel fehlte. Meine Freundin hat zwar verklebte Eileiter ist aber ansonsten eine sehr zupackende, sportliche und leistungsstarke Frau und hatte es sich daher nicht nehmen lassen, auf die Stimulierung des Eisprungs gleich mit der Produktion einer ganzen Fußballmannschaft zu reagieren. Abwehr und Mittelfeld lagern immer noch in einem Kühlfach irgendwo in Holland. Die Sturmspitze jedoch schießt jetzt durch ihr Haus, schreit, zerschlägt Geschirr und wirft mit Kieselsteinen auf die Balkontür.

Bis der Fehler der Klinik aufgedeckt wurde, war die Zwillingsschwangerschaft allerdings kein Vergnügen, denn die Holländer behaupteten, um ihre Schuld zu vertuschen, die einzige Erklärung für die Mehrlinge sei ein Genfehler bei ihr und beide Kinder oder Kinderhälften würden vermutlich mit schweren Schäden zur Welt kommen.

Die verklebten Eileiter hat sie womöglich, weil sie in den neunziger Jahren aus Abneigung gegen die Pille eine Zeitlang mit Spirale verhütet hatte, nach einem langen Beratungsgespräch mit mir, denn ich musste aus irgendwelchen medizinischen Gründen mit Spirale verhüten. Schon damals, als sie mir von den verklebten Eileitern erzählte, heulte ich eine ganze Nacht, obwohl ich keinen Mann und damit auch keine konkreten Familiengründungspläne hatte und eigentlich ja auch noch nicht so recht erwiesen war, dass ich auch verklebte Eileiter hatte. Doch bereits als ich meine Zwanziger damit verbrachte hatte, mich panisch davor zu fürchten, ich könnte ungewollt schwanger werden und damit meine Ausbildung und überhaupt meine gesamte Zukunft ruinieren, war ich mir sicher, dass ich bestimmt keine Kinder bekommen könnte, wenn ich sie dann endlich wollte.

Diese Gewissheit hatte die französische Gynäkologin nur verstärkt, die mir Jahre später vorrechnete, wie alt ich sei und in welchem Tempo die Fertilität sich jenseits der 30 verschlechtere. Ich war damals Single, sehr zufrieden mit meinem Pariser Leben und hatte sie eigentlich nur zum Zwecke einer Routineuntersuchung konsultiert. Anstatt sich auf Abstriche und bakterielle Untersuchungen zu konzentrieren, hielt sie es jedoch offenbar für ihre Pflicht, mich auf die Vergänglichkeit meiner Chancen auf eine Mutterschaft aufmerksam zu machen. Als ich schwach einwendete, ich hätte keinen Vater in petto, verabschiedete sie mich mit den gestrengen Worten: „Vous devriez vous chercher un homme et faire des bébés“.

Offenbar kommt es doch nicht von ungefähr, dass die durchschnittliche Französin 2,2 Babys zur Welt bringt, während Deutschland mit 1,3 Kindern pro Frau auskommen muss. Vielmehr scheint es sich um eine breit angelegte Initiative zu handeln, an der sich Vertreter des Gesundheitswesens und wahrscheinlich auch Lehrer, Pfarrer und Arbeitgeber beteiligen, um die Frauen an ihre Pflichten zur Mehrung des französischen Volkes zu erinnern. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass bereits de Gaulle die üppige Ausstattung der französischen Frau mit Kinderkrippen einführte, derer sie sich auch heute noch erfreut. Das sollte allerdings keinesfalls ihrer Emanzipation dienen, sondern war Bestandteil einer ausgeklügelten Bevölkerungspolitik mit dem Ziel, die Deutschen zahlenmäßig zu überholen. Wozu das dienen sollte, bleibt de Gaulles Geheimnis. Vielleicht wollte er die Stimmengleichheit im Europäischen Rat nachträglich legitimieren. Allerdings wurde der Vertrag von Nizza erst deutlich später ausgehandelt. Aber wer weiß, vielleicht hat er das ja schon kommen sehen...

Jedenfalls konnte oder wollte Deutschland keine vergleichbar aktive Bevölkerungspolitik machen wegen schlechter Erinnerungen an Mutterkreuze und dergleichen. Das Ergebnis ist, dass wir tatsächlich in wenigen Jahrzehnten den Franzosen zahlenmäßig unterlegen sein werden, da hilft uns die ganze Wiedervereinigung auch nicht weiter.

Ein später Nebeneffekt der traditionsreichen französischen Bevölkerungspolitik– vermutlich nicht intendiert, soviel sollte ich de Gaulle zugute halten – bestand darin, dass nach der Konsultation bei der diensteifrigen Gynäkologin, die ihr Volk und offenbar auch anderer Leute Völker nicht dem Untergang preisgeben wollte, heulend auf der Esplanade de La Défense saß, mir die vorbeigehenden Geschäftsmänner ansah und mir überlegte, was ich tun sollte. Mich ihnen zu Füßen werfen und sie bitten, mir ein Kind zu machen? Aber französische Männer sind mir meistens zu klein. Zudem haben die Ehrgeizigeren unter ihnen, und dazu gehören die meisten, die wochentags durch La Défense laufen, einen Hang dazu, ihre Fingernägel abzukauen, vermutlich weil die Zugangsprüfung zu ihrer Eliteuniversität so stressig war und sie sich seither nicht mehr so recht erholen konnten. Wie dem auch sei, ich kann abgekaute Fingernägel nicht ausstehen. Und ja, ich bin mir bewußt, dass die französischen Gynäkologinnen gerade deswegen ihre guten Ratschläge so eindringlich vortragen, weil die modernen Frauen so wählerisch sind, und solange nach entspannten hochgewachsenen Männern Ausschau halten, bis es zu spät für Kinder ist.

Jedenfalls war nach den Erfahrungen meiner Freundin in Holland und meinen eigenen in Frankreich ja klar, was mit mir los war, als ich nach mehreren Monaten ohne Spirale, ohne Pille und ohne Gummi immer noch vergeblich auf eine Schwangerschaft wartete. Meine Eileiter mussten dringend auf ihre Durchlässigkeit überprüft werden. Meine Gynäkologin hingegen– nicht die vom Wunsch auf Vergrößerung des französischen Volkes beseelte Französin, sondern inzwischen eine Deutsche, die das Liebesleben ihrer Patientinnen mit etwas größerer Diskretion behandelte - war ganz anderer Meinung und weigerte sich rund heraus Löcher in Bäuche von Frauen zu bohren, bei denen keinerlei Anzeichen für verklebte Eileiter zu erkennen sind. Sie wiederholte statt dessen ihren Rat mit dem Urlaub und der Entspannung.

Ich weiß ja, dass sie recht hat. Aber unser Urlaub im Ural war zwar sehr schön und lehrreich zugleich, aber er lag ungünstig im Zyklus. Wer kann auch schon sein gesamtes Leben danach ausrichten? Und mich zu einem entspannten Leben zu zwingen, das wollte mir auch nicht recht gelingen. Gebeutelt von so viel Mißerfolgen, besuchte ich meine Gynäkologin in den folgenden Monaten noch mehrere Male. Einmal mit einem glibbrigen Ausfluss, den ich für das sicherste Anzeichen für das unmittelbar bevorstehende Ende meiner Fertilität hielt. Wie sich herausstellte, hatte ich ein Tampon im Körper vergessen. Unglaublich, was man damit alles machen kann, ohne es zu merken!

Beim nächsten Mal kam ich in Begleitung meines rat- und hilflosen Freund, der sich zu gemeinsamem Handeln bereit erklärt hatte, nachdem ein trotz emsigen Mönchspfefferkonsums mit 21 Tagen für Befruchtungen zu kurzer Zyklus zu Hause eine größere Krise ausgelöst hat. Die Gynäkologin zeigte diesmal ehrliches Mitleid, als ich erneut am Rande des Nervenzusammenbruchs vor ihr saß. Sie versicherte mir zwar, dass verkürzte Zyklen mit Stress zusammen hängen können - auch dem den man sich selbst macht, um schwanger zu werden - und kein Anzeichen für schwere Störungen sein müssen, die sich nicht von selbst regeln könnten. Aber ich wollte endlich handeln.

Frauen wie ich, die ihr ganzes erwachsenes Leben – und nicht unbedeutende Teile der Kindheit – damit verbracht haben, sich ein Ziel nach dem anderen zu stecken und dann ehrgeizig und konzentriert darauf los zu stürmen, können nur schlecht damit umgehen, wenn sie endlich mühevoll alles zusammen gesammelt haben, was man ihrer Meinung nach für eine glückliche Familie braucht – akademische Würden, einen ordentlichen Job und einen lieben, zärtlichen Mann – jetzt das Kind her soll ... und dann kommt es nicht.

Deswegen fand ich mich nur wenige Monate und Besuche bei meiner Gynäkologin später in der Sterilitätsklinik bei der Ärztin wieder, die uns nach unseren Unternehmungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft befragte.

Unternehmungen, um schwanger zu werden

Welche Unternehmungen haben Sie bislang unternommen, um schwanger zu werden?“ fragt uns die Ärztin im Minirock aus dem Babywunschzentrum und sieht uns mit gezücktem Kugelschreiber interessiert an. Sie ist Deutsch-Türkin und sieht hübsch und sympathisch aus.

Meine Gynäkologin nennt es Sterilitätsklinik. Das trifft es besser, aber die wissen hier schon, warum sie sich so nicht nennen. Babywunschzentrum klingt irgendwie hoffnungsfroher und positiver, nicht so nach Krankheit und Versagen.

Mein Freund schweigt ratlos. Ich bin mir auch unsicher, beschließe jedoch, es einmal mit dem nahe Liegenden zu versuchen. Wir können hier schließlich nicht ewig sitzen bleiben und uns dieser Inquisition unterziehen: „Wir haben zusammen geschlafen“, versuche ich, unsere Unternehmungen möglichst kurz und präzise zusammenzufassen.

„Gut“, sagt die schicke Ärztin. Sie sieht zufrieden aus und macht sich rasch ein paar Notizen. Ich frage mich, was sie wohl notiert:“ Patienten haben die Herausforderungen, die mit ihrer Aufgabe verbunden sind, in Grundzügen verstanden“? Inzwischen würde ich mich auch nicht mehr wundern, wenn es Paare gäbe, die nach intensivem Studium der Fachliteratur und der Tipps auf Internetseiten zum Thema Kinderwunsch jahrelang Mönchspfeffer geschluckt und Hormone gespritzt, aber über all dem Stress den Beischlaf vergessen haben.

Mir fällt nach den offensichtlichen Zustimmungsbekundungen zu unseren Unternehmungen dennoch ein Stein von Herzen. Ihm auch, wie er mir hinterher anvertraut. Er meinte, er hätte sich nicht gewundert, wenn sie mit verzerrten Gesichtszügen „Nein, ganz falsch!“ gerufen und dabei drohend mit ihrem Kugelschreiber die Luft durchbohrt hätte.

Immerhin verdanken wir diesem Besuch, dass die zunächst technisch anmutende Aufforderung Unternehmungen zu unternehmen bei uns die Qualität eines erotischen Lockrufs erlangt hat. Wer hätte das gedacht?

Die schwierige und meist langwierige Suche nach einem geeigneten Mann wird der modernen Frau um die Dreißig inzwischen durch allerlei unterhaltsame Literatur, Filme und Fernsehserien versüßt und erleichtert, ja fast schon zu einem aufregenden und angenehmen Abenteuer gemacht. Die mit Zeitgeist schwer beladenen Werke zeichnen das Bild schöner, humorvoller, intelligenter, unabhängiger und reichlich mit besten Freundinnen und liebevollen Weggefährten aller Art ausgestatteter Frauen, die sich - umgeben von Männern, die entweder beziehungsunwillig sind, unfähig, Frauen zu lieben, die es beruflich und intellektuell mit ihnen aufnehmen können, oder schwul - zwar gelegentlich vor einem Dasein als einsame, alte Jungfer fürchten, es in der Regel jedoch prächtig verstehen, sich im Kreis ihrer Freunde mit Alkohol, Partys, sexuellen Abenteuern und beruflichen Erfolgen von diesem drohenden Schicksal abzulenken. Meist findet sich am Ende der Geschichten nach vielen romantischen Irrungen und Wirrungen doch noch irgendwie der Richtige. Oder jedenfalls irgendeiner.

Ich muss gestehen, dass mir diese Geschichten gefallen. Ich konnte mich auch oft genug mit ihnen identifizieren. Zwar stellten sich berufliche Erfolge und Sexualpartner bei meinen Freundinnen und mir nicht mit der gleichen Frequenz und Qualität ein, und die Enttäuschungen mit getrennt lebenden Vätern, denen kein hoffnungsvoller Neuanfang mit einer neuen Frau gelingen will, oder allein stehenden Männern, denen man versäumt hat zu erklären, dass die Emanzipation auch ihr Leben im Vergleich zu dem ihrer Väter verändern würde, sind schmerzhafter und prosaischer als es die Werke über moderne Großstädterinnen aus Film und Unterhaltungsliteratur nahelegen. Doch bei all den Schwierigkeiten und Verletzungen hatte unsere Jagd auf Männer doch etwas Leichtlebiges, Vergnügliches. Ja, wir hatten Angst, allein stehend und einsam zu enden, aber die Rolle als freie und unabhängige Pionierinnen in einem Großstadtdschungel voller Abenteuer und Fallstricke gefiel uns doch.

Was ich diesen Büchern und Filmen vorwerfe, ist, dass sie sich darüber ausschweigen, was auf uns lauert, wenn wir nach langen, verschlungenen Wegen einen Mann gefunden haben. Auch wenn sich diese Werke als modern gerieren, indem sie das Bild im Großen und Ganzen glücklicher, unabhängiger Frauen zeichnen, was das Ende angeht, unterscheiden sie sich durch nichts von alten Hollywoodschinken: Sie enden romantisch vor dem Traualtar und verschweigen dabei das profane Auf und Ab der Ehe, das folgt.

In der modernen Version gelingt es der Heldin in der Regel, in einem Meer aus unreifen Beziehungspanikern nach langer, mühevoller Suche, einen erwachsenen und liebevollen Mann zu finden. Und selbst, wenn dies nicht gelingt, enden die Geschichten, solange ihre Heldinnen noch jung, schön, voller Schaffenskraft und gebärfähig sind. Dem Schicksal, neben einem beruflich erfolgreichen, aber langweiligen Mann mit unverschämten Gören in einem Vorstadthaus mit Garten zu enden, kommt allenfalls eine antithetische Nebenrolle zu. Dass die schöneren, abenteuerlustigeren und erfolgsverwöhnten Heldinnen dieser Geschichten sich nach ihrer feucht-fröhlichen, aber langwierigen Suche nach einem geeigneten Beau womöglich auf eine noch steinigere Jagd nach ihren letzten noch einsatzfähigen Eizellen machen müssen, oder - nicht selten - den letzten noch lebensfähigen Spermien das Beaus, der vor der glücklichen Vereinigung meist auch kein Kind von Traurigkeit oder Gegner des übermäßigen Alkoholkonsums war, das deuten diese Geschichten gelegentlich an. Anders als bei den verschlungenen Liebesabenteuern und den bitteren Enttäuschungen, die zu dem richtigen Mann führen sollen, unterlassen es die Macher moderner, weiblicher Großstadtmythen jedoch, diesen zweiten, häufig viel steinigeren Weg zu besingen, seine Facetten auszuleuchten, seine Höhen und Tiefen zu ergründen, seine tragischen und dramatischen Seiten zu beweinen und seine Absurditäten zur allgemeinen Belustigung darzustellen.

So erfährt das Publikum niemals in der gebührenden Klarheit, was es bedeutet, sich unter dem Druck des eigenen Leistungswillens, panischer Internetforendiskutantinnen, mißbilligender Mitmenschen und einer geldhungrigen Fortpflanzungsindustrie, die sich die tiefsten Ängste planvoll vorgehender Mitdreißigerinnen zu Nutze macht, dem Wettlauf gegen die Menopause zu stellen. Wahrscheinlich entsteht diese Lücke, weil die Medien davon ausgehen, die Suche nach einer erfolgreichen Vereinigung von Ei- und Samenzelle kurz vor Toresschluss sei weniger witzig, romantisch oder erotisch als das vorangegangene Bemühen um die glückliche Vereinigung von Mann und Frau. Dabei vergessen sie, wie offenbar auch einige Kunden unserer Sterilitätsklinik, dass noch kein Kind so ganz ohne Erotik auf die Welt gekommen ist. Na ja, jedenfalls nicht ohne Sex. Und sex sells. Zudem sind mit Panik erlebte Erfahrungen, über die nur hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, ein fruchtbarer Nährboden nicht nur für Tragik und Dramatik, sondern auch für Kuriositäten und Absurditäten.

Diesen vernachlässigten Abenteuern, wollen sich diese Seiten widmen...